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Begutachtung im Familienrecht - Folge 10: Welche Bedeutung haben Testergebnisse?

Ratgeber für Betroffene

von Judith Arnscheid und Reinmar du Bois




In der familienrechtlichen Begutachtung haben testpsychologische Verfahren neben den explorativen Gesprächen und der Interaktions- und Verhaltensbeobachtung einen festen Platz. Grundsätzlich kann man sagen – je breiter die Datenbasis, die man hat, desto fundierter die Empfehlung, die man abgeben kann. Aus diesem Grund empfiehlt sich die Anwendung von Testverfahren.

Es gibt nur wenig Verfahren, die explizit im Hinblick auf familienrechtliche Fragestellungen konstruiert wurden, aber es gibt eine Reihe von Tests, die sich mit Aspekten beschäftigen, die für die Beantwortung von Fragestellungen bezüglich der elterlichen Sorge oder des Umgangs relevant sind, z.B. Erziehungsverhalten oder innerfamiliäre Beziehungskonstellationen.



Validität - Reliabilität - Objektivität


Die bei Begutachtungen verwendeten Testverfahren lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: Die „psychometrischen“ Tests und die „projektiven“ Verfahren. Erhebt ein Testverfahren den Anspruch, ein wissenschaftliches Messverfahren zu sein, so muss es bestimmte Kriterien erfüllen. Leitfragen hierbei sind: sind die Ergebnisse unabhängig vom Untersucher / der Untersuchungssituation (Objektivität), misst der Test überhaupt das, was er messen soll (Validität) und misst er das gut (Reliabilität). Die projektiven Verfahren erheben hingegen nicht den Anspruch, diesen Kriterien gerecht zu werden. Sie werden häufig auch eher als Explorationshilfe eingesetzt, um mit dem Kind über die Durchführung der Verfahren ins Gespräch zu kommen. Interpretiert werden sollten sie vorsichtig, die Interpretationen nehmen unweigerlich ihren Ausgang von Grundüberzeugungen und theoretischen Prämissen des Untersuchers und wenden diese auf die Situation des Untersuchten an. Am besten sind Interpretation, die nach der Tendenz auch aus dem Munde der betroffenen Kinder selbst stammen könnten, wenn sie das entsprechende Ausdrucksvermögen hätten. Eine Vielzahl guter Verfahren sind abhängig von der Fragestellung und dem Alter der Kinder bei deren Begutachtung im Einsatz. Exemplarisch sollen hier wenige Verfahren herausgegriffen und dargestellt werden, stellvertretend für andere Verfahren mit ähnlicher Thematik.



Selbstbefragungsverfahren


Ein typisches Fragebogenverfahren für Kinder ist beispielsweise der Elternbildfragebogen (EBF-KJ), der die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 20 Jahren abbildet. Das Kind schätzt jeweils für die Mutter und den Vater getrennt 34 Einzelaussagen ein (z.B. Meine Mutter / mein Vater ist für mich da gewesen, wenn ich sie gebraucht habe. Oder: Meine Mutter / mein Vater hat viel Angst um mich.). Diese Einzelaussagen lassen sich dann in drei Ressourcenskalen (Kohäsion, Identifikation, Autonomie) und fünf Risikoskalen (Konflikte, Ablehnung/Gleichgültigkeit, Bestrafung, emotionale Grenzüberschreitung, Ängste/ Überprotektion) zusammenfassend auswerten. So entsteht ein recht differenziertes Bild über die Wahrnehmung des Kindes bezüglich seiner Beziehung zu seinen Eltern.


Im Kontext familiengerichtlicher Verfahren gibt es auch Testverfahren für elterliches Verhalten, z.B. im Hinblick auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung. Es wird das Ausmaß der Belastung im Sinne von Risikofaktoren abgefragt. Beispielhaft sei hier das Eltern-Belastungsinventar vorgestellt. Der Grundgedanke hinter dem EBI ist, dass eine hohe elterliche Belastung als Risikofaktor für dysfunktionales Erziehungsverhalten betrachtet werden muss. Hierbei werden zwei Hauptquellen elterlicher Belastung unterschieden: A) Eigenschaften und Verhaltensweisen des Kindes, aus denen sich spezifische Anforderungen für die Eltern ergeben, und B) Einschränkungen elterlicher Funktionen, die die Ressourcen beeinträchtigen, die den Eltern zur Bewältigung der Anforderungen in der Erziehung, Betreuung und Versorgung ihres Kindes zur Verfügung stehen. Das EBI gibt somit Hinweise darauf, ob die Eltern aufgrund einer erhöhten Belastung in ihren Aufgaben in der Erziehung, Betreuung und Versorgung ihres Kindes beeinträchtigt sind und in welchen Bereichen.



Projektive Verfahren


Ein typisches projektives Verfahren stellt die „Familie in Tieren“ dar, anwendbar bei Kindern zwischen 4 und 12 Jahren. Das Kind bekommt ein Blatt Papier und Stifte und die Anweisung, sich seine Familienmitglieder als Tiere vorzustellen und diese zu zeichnen. Anschließend wird das Bild dann unter verschiedenen Gesichtspunkten interpretiert – z.B. welche Familienmitglieder durch welche Tiere repräsentiert werden, aber auch wer sich wem zuwendet oder von wem abwendet, welche Familienmitglieder auf gleicher Ebene gezeichnet werden oder wie groß die Tiere dargestellt sind. Häufiger Kritikpunkt ist hierbei jedoch, dass die Objektivität des Tests nicht gewährleistet ist, da die Tiersymbolik sehr verschieden interpretiert werden kann. Allerdings kann man über das Zeichnen oft sehr gut mit einem Kind ins Gespräch über seine Familie kommen. Das ist vor allem bei kleineren Kindern, mit eher begrenzten sprachlichen Möglichkeiten, oft günstiger, als eine direkte Befragung.


Der Family Relations Test (FRT) und der Familiensystemtest (FAST) sind gute Beispiele dafür, wie Testmaterialien auch zur Explorationshilfe genutzt werden können. Beim FRT soll das Kind aus einer Reihe mit schemenhaften Figuren beklebter Briefkästen diejenigen wählen, die er seinen Familienmitgliedern zuweisen könnte. Anschließend soll das Kind diesen Familienangehörigen „Briefe“ schicken, die Aussagen über positive und negative (ausgehende und empfangene) Gefühle enthalten. So können Beziehungsmuster innerhalb der Familie aus der Sicht des Kindes dargestellt werden. Über die auf den Kärtchen gestellten Aussagen, (von wem das Kind möchte, dass er weg geht, oder wer das Kind manchmal traurig macht, wer viel mit dem Kind schimpft oder wer viel mit dem Kind spielt, wer das Kind ins Bett bringen soll etc.) kommen Gutachter gut ins Gespräch über konkrete Alltagssituationen, die das Kind von sich aus möglicherweise nicht geäußert hätte. Es entsteht ein gutes Bild über das kindliche Erleben der sozial-emotionalen Beziehungen im Scheidungskonflikt seiner Familie. Gleichzeitig nutzt das Kind den Test bewusst, um zu verkünden, wem aus dem Kreis der Familie es Lob spenden will und wem es Kritik zumutet, wen es mit viel Aufmerksamkeit bedenkt, und wen es (bewusst) ignorieren möchte.


Im FAST sucht sich ein Kind für jede Person seiner Familie und für sich selbst eine eher abstrakt gestaltete Holzfigur aus, die es dann auf einem definierten Feld platzieren soll. Der (horizontale und vertikale) Abstand der Figuren symbolisiert die Sympathie bzw. Antipathie der Personen untereinander. Die Anordnung in der Vertikalen bringt unter Umständen zusätzliche Vorstellungen über die Ranghöhe und Entscheidungsgewalt der einzelnen Personen zum Ausdruck. Das Kind stellt sich genau in den Mittelpunkt des Bretts. Es wird aufgefordert, die anderen Familienmitglieder um sich herum in anderen Feldern zu platzieren. Zunächst soll das Kind die augenblickliche Situation, dann einen früheren Zustand (vor der Trennung der Eltern) und schließlich eine Wunschsituation darstellen. Der Test bildet die Bindungsverhältnisse nicht objektiv ab, sondern macht lediglich besser nachvollziehbar, in welcher Art und Weise sich das Kind mit seiner Situation zwischen zerstrittenen Eltern auseinandersetzt und wie es vom Gutachter, der von außen zuschaut, wahrgenommen werden will. Durch die Umsetzung in ein Bild kann das Kind die Verhältnisse in der Familie und seine darauf bezogenen Gefühle und Wünsche besser zum Ausdruck bringen. Obwohl ihm die sprachlichen Ausdrucksmittel noch fehlen, hat das Kind non-verbal bereits ein deutliches Bewusstsein dieser Verhältnisse.


Persönlichkeitsdiagnostik bei den Eltern


Zum Teil werden während der Begutachtungen auch Verfahren eingesetzt, die aus einem klinischen Kontext heraus entstanden sind, z.B. im Hinblick auf psychische Auffälligkeiten oder Persönlichkeitsstrukturen /-akzentuierungen /-störungen. Diese Verfahren sind eigentlich dafür konstruiert worden, zu Beginn einer psychotherapeutischen Behandlung die Diagnostik aus dem klinischen Eindruck heraus zu untermauern. Sie sind nicht für die gutachterliche Praxis entwickelt worden. Als Beispiel unter vielen sei hier das „Persönlichkeitsstil und - störungsinventar“ erwähnt. Es handelt sich um ein Selbstbeurteilungsinstrument, mit dem die relative Ausprägung von Persönlichkeitsstilen erfasst wird. Zu bewertende Dimensionen sind u.a. "eigenwillig-paranoid", "spontan-borderline", "ehrgeizig-narzisstisch".

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Eine interessante Außenseiterrolle unter den Instrumenten zur Erforschung der Persönlichkeit spielt der historische Rorschach Formdeutungsversuch. Er ist zwar von der modernen Testtheorie überholt worden, ist aber für entsprechend geübte und erfahrene Anwender bei klinisch psychiatrischen Explorationen immer noch attraktiv. Er dient den Anwendern als wertvolle Ergänzung bei der Erkundung psychischer Strukturen, zumal er – anders als die Selbstbefragungsinstrumente - für Probanden nicht ohne Weiteres bewusst beeinflusst werden kann. Er liefert auf der Grundlage der Wahrnehmungspsychologie (anhand von Tintenklecksbildern) orientierende Erkenntnisse über die allgemeine Stabilität der psychischen Struktur, über die Realitätskontrolle, die affektive Steuerung und über weitere psychische Grundbefindlichkeiten und Tendenzen. Der Test erbringt allerdings mehrdeutige Befunde. Diese müssen durch weitere Erkenntnisse und Eindrücke und durch Informationen von dritter Seite erst richtig eingeordnet werden. Unter diesem Vorbehalt kann das Verfahren den Verdacht einer ausgeprägten psychischen Störung durchaus untermauern, falls eine solche in der gutachtlichen Begegnung überhaupt nicht sichtbar geworden oder dementiert worden ist, aber durch entsprechende Berichte in der Akte nahegelegt wird. Umgekehrt kann das Verfahren dabei helfen, den von Parteienseite aufgebrachten Vorwurf einer psychischen Instabilität zu widerlegen – wiederum natürlich nur in Verbindung mit zusätzlichen Informationen.


Ethische Aspekte


Gerade der zuletzt erwähnte Einsatz von Verfahren zur Persönlichkeitsdiagnostik berührt auch ethische Aspekte der Begutachtung. Die Verfahren sind so konstruiert, dass der Ausfüllende sich selbst einen Erkenntnisgewinn verspricht, d.h. er muss sie offen beantworten und nicht mit dem Hintergedanken, sich so gut wie möglich zu präsentieren. Genau hierin unterscheidet sich die Situation zu Beginn einer Psychotherapie von einer forensischen Begutachtung. Möchte jemand eine Psychotherapie beginnen, hat dieser Patient einen erheblichen Leidensdruck, er/sie möchte wissen, was mit ihm/ihr los ist und Hilfe erhalten. Ohne die offene Darlegung aller Probleme und Besorgnisse in einem vertrauensvollen Kontext, zu der auch die berufsständige Schweigepflicht beiträgt, kann keine sinnvolle Diagnostik erfolgen. Ganz anders ist die Ausgangssituation bei der Begutachtung. Der Sachverständige ist zur Weitergabe seiner Erkenntnisse verpflichtet. Er muss seine Kenntnisse nicht nur dem auftraggebenden Gericht, sondern im gleichen Zuge auch der Gegenseite offenbaren. Zum Teil wirft eine Partei der anderen vor, sie sei psychisch gestört oder besitze eine abnorme Persönlichkeit. Vor diesem Hintergrund besteht für den Betroffenen keine Eigenmotivation, die eigene Pathologie zu klären, sondern im Gegenteil die Bestrebung, sich als psychisch gesund und unauffällig zu präsentieren. Ob es unter diesem Aspekt ethisch vertretbar ist, entsprechende Verfahren einzusetzen, bleibt diskussionswürdig.

Die meisten Menschen sind bei Fragebogenverfahren in der Lage zu erkennen, worauf bestimmte Itemformulierungen abzielen und können sich entsprechend „sozial erwünscht“ darstellen. Bei Items wie z.B. „Haben Sie je versucht, sich selbst zu verletzen oder umzubringen oder es angedroht?“[1] wird ein Elternteil, der vor Gericht dafür kämpft, sein Kind weiterhin versorgen zu dürfen, sicherlich nicht ehrlich antworten, sondern so, wie er vom Sachverständigen wahrgenommen werden möchte.


Auch der umgekehrte Fall stellt den Gutachter vor ethische Probleme: Zum Teil erscheinen Eltern zur Begutachtung, denen eine psychische Erkrankung oder Persönlichkeitsstörung unterstellt wird. Sie bestehen darauf, entsprechende Tests machen zu dürfen, um diesen Vorwurf zu aus der Welt zu schaffen. Durch unauffällige Testwerte möchten sie „beweisen“, dass sie psychisch gesund sind. Da Fragebogenverfahren in der Regel gut durchschaubar sind und es den meisten Menschen nicht schwerfällt, sich hierbei positiv und unauffällig zu präsentieren, sagt ein solches Testergebnis wenig darüber aus, wie psychisch gesund jemand wirklich ist. Manche Tests haben Kontrollskalen eingebaut, um erfassen zu können, ob sich ein Proband als besonders sozial erwünscht beschreibt. Bei Nachweis dieser Tendenz sind die Ergebnisse ebenfalls nur begrenzt verwertbar.

Alles in allem bleiben psychologische Tests nicht mehr als ein Hilfsmittel. Sie liefern Aspekte, mit denen die Datenbasis erweitert wird. Sie bieten jenseits der Gespräche möglicherweise einen ergänzenden Zugang zu psychischen Prozessen. Es gibt aber keine psychologischen Tests, die den familienrechtlichen Begriff des „Kindeswillens“, der „Erziehungseignung“ oder der „Bindung“ abbilden, so dass das Testergebnis als direkte Antwort auf gerichtliche Fragen gewertet werden könnte.

[1] Aus dem SKID II


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