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Umgangsverweigerungen und Entfremdung (PAS) - Folge 19

  • dubois70
  • 26. Feb.
  • 6 Min. Lesezeit
von Reinmar du Bois

Tutorial für Juristen









Kritik am Parental Alienation Syndrome (PAS)


Das Parental Alienation Syndrom (PAS) ist ein aus der familienrechtlichen Begutachtung hervorgegangenes Konstrukt, das Verhaltensbeobachtungen am Kind mit konkreten immer gleichen Ursachen (auf Seiten der Eltern) und daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen verknüpft[1]. Das Konstrukt verfehlt die psychologischen Kriterien von Validität und Reliabilität. Das PAS zählt zur Gattung populär bekannter Theorien aus den Sozial- und Verhaltenswissenschaften, die für einen breiten Fächer von Problemen dieselben griffigen Erklärungen haben und Lösungen empfehlen. Für diese Gattung wurde auch die Bezeichnung „junk science“ geprägt. In der internationalen Praxis der Familiengerichte hat sich die mangelnde Seriosität des PAS-Konstrukts mittlerweile herumgesprochen. Seine ungebrochene Anziehungskraft vorrangig auf Väter, denen das Umgangsrecht verwehrt wird, bezieht das PAS aus dem Umstand, dass es eine Blaupause bietet, wie der Vorwurf, ein Vater sei schädlich für sein Kind, pariert werden und umgedreht werden kann, so dass er sich nun auf die Mutter richtet. Egal, ob sich die streitenden Parteien mütterlicherseits auf die Trauma-Forschung oder väterlicherseits auf das PAS berufen: stets wird aus bestimmten (in Wirklichkeit mehrdeutigen) Verhaltensweisen und Befindlichkeiten des Kindes abgeleitet, ein Elternteil habe dem Kind etwas „angetan“. Beide Elternseiten denunzieren sich gegenseitig als Täter.

 

Im PAS scheint die Umgangsverweigerung des Kindes eindeutig zu belegen, dass


A) hinter der kindlichen Umgangsverweigerung eine Bezugsperson am Werk sei, die diese Verweigerung beim Kind auslöst und diese zu verantworten habe (womit im Rechtsstreit eine Täter(in), bzw. eine Schuldige benannt werden kann), dass


B) Umgangsverweigerungen scheinbar zuverlässig bedeuten, dass ein Kind nicht mehr seinem echtem Wollen folge, sondern fremdbestimmt und manipuliert sei und somit seelischen Schaden genommen habe (womit im Rechtsstreit eine „Kindeswohlgefährdung“ geltend gemacht werden kann) und dass


C) sich aus dem Grad der „Entfremdung“ des Kindes scheinbar eine klare Handlungsanweisung ergibt, wie zum Wohl des Kindes zu verfahren sei – beginnend mit Druck auf den umgangsverweigernden Elternteil und endend bei der Herausnahme (Heimeinweisung), Trennung des Kindes von seiner wichtigsten Bezugsperson und Überleitung zum anderen Elternteil (womit im Rechtsstreit konkrete „Forderungen“ erhoben und Anträge formuliert werden können).

 

Die mit dem Konzept des PAS einhergehende Idee, dem „programmierenden“ Elternteil die Kinder weg zu nehmen und dem „entfremdeten Elternteil“ zuzusprechen, erscheint zunächst schlüssig und logisch: der Täter wird bestraft, das Opfer erfährt Gerechtigkeit. Eine solche „Radikalkur“ entspricht vordergründig sogar allgemeinem Rechtsempfinden. Der umgangsverweigernde Elternteil soll nicht mit seinem Verhalten „durchkommen“.

 

Der Mangel an wissenschaftlicher Validität liegt zuallererst im Postulat, dass aus der Feindseligkeit oder auch Ängstlichkeit des Kindes gegenüber dem Vater eindimensional abgeleitet werden könne, die Mutter bzw. Person, bei dem das Kind lebe, beschädige das Kindeswohl. Selbstverständlich trifft es zu, dass Kinder, die einen Elternteil ablehnen und aus ihrem Leben verbannen wollen, mit dieser Haltung seelische Schwierigkeiten verraten, die ihnen entweder zugemutet werden oder in die sie sich selbst manövriert haben. Die Faktoren jedoch, die das Kind in diese Schieflage gebracht haben, sind vielschichtig. Sie reichen von Besonderheiten der Bindungsentwicklung, über Entfremdungserfahrungen, die dem Abbruch des Umgangs vorausgehen. Sie betreffen mitunter auch konkrete Erlebnisse des Kindes mit jener Person, die sie nicht mehr sehen wollen, oder sie ergeben sich aus dem Miterleben von Notlagen des Elternteils, mit dem sie eng verbunden sind, und reflektieren fast immer auch das verstörende und schuldbewusste Miterleben eines unerbittlichen und gefährlichen Streits der Eltern. Die Kinder sind hierbei stets nicht nur willenlose Opfer (einer sie beeinflussenden Person), sondern bewusst erlebende, mitgestaltende und mit-regulierende, Partei ergreifende Akteure.


Selbstverständlich trifft es zu, dass ein Elternteil, der den Ex-Partner fürchtet, ablehnt oder verteufelt, auch ein Kind mehr oder weniger bewusst, mehr oder weniger suggestiv beeinflussen und manipulieren kann. Wie gut dies gelingt und zur Entfremdung des Kindes führt, hängt jedoch von vielen Faktoren ab. Das elterliche Verhalten beider Seiten zum Kind wirkt auf das Kind nicht ein wie Licht auf lichtempfindliches Fotopapier. Vielmehr reagiert das Kind gemäß seiner Eigenart und verarbeitet das Erlebte, teilweise unvorhersehbar. Es ist zum Beispiel empirisch erwiesen, dass Versuche, den abwesenden Vater schlecht zu machen, bei vielen Kindern eine Gegenreaktion auslösen, so dass der „Schuss“ gewissermaßen auch nach hinten losgehen kann. Die Frage, woher die ablehnende Haltung eines Kindes gegen den Vater stammt, kann also nicht im Sinne des PAS als automatisch beantwortet gelten, sondern muss ergebnisoffen erforscht werden.


Eine Hauptbezugsperson des Kindes wird ja nicht allein durch den Umstand definiert (ggf. disqualifiziert), dass sie daran mitwirkt, ihr Kind von Besuchen beim anderen Elternteil abzubringt, sondern ebenso durch die Qualität von Bindungen, durch Fürsorgeleistungen und dadurch, dass diese Person dem Kind wichtigen Halt und Orientierung gibt, die es nach einer Trennung umso dringender benötigt.

Jedes Kind ist unterschiedlich empfänglich oder vulnerabel, und reagiert auf jede Beeinflussung höchst individuell. Bei vormals guten und stabilen Bindungen an den besuchenden Elternteil reichen negative Beeinflussungen des verweigernden Elternteils nach einer Trennung normalerweise nicht aus, um eine komplette Besuchsverweigerung hervorzurufen. Erst weitere Umstände können erklärlich machen, warum eine solche Verweigerung eintritt und in seltenen Fällen besonders hartnäckig ist und sich verfestigt, statt sich aufzulösen.


Handlungsoptionen zur Anbahnung von Umgängen


Nach dem Konzept des PAS würde allein die Schwere der Verweigerung bereits die Schwere des Eingriffs rechtfertigen. Die Empfehlung reicht bis zu Herausnahmen des Kindes. Es wird nicht in Betracht gezogen, dass gerade bei hartnäckigen Verweigerungen weitere wichtige Faktoren, das heißt nicht nur eine Suggestion (die immer nur vorübergehend wirksam wäre). zur Erklärung herangezogen werden müssen.


Wenn man die Bauteile des PAS einzeln betrachtet und die daraus abgeleiteten voreiligen Schlussfolgerungen außer Acht lässt, befindet man sich als Gutachter/in sofort wieder auf vertrautem Terrain: Man erkennt beispielsweise ein Kind, dass sich durch Umgangsverweigerungen tatsächlich selbst schadet, weil es auf diese Weise eine unsichtbare und nicht einschätzbare Gefahr nie abschütteln wird und seine Identität später nicht wird befriedigend klären können. Man erkennt ein Elternpaar, dass in einem toxischen Streit gefangen ist. Man erkennt eine Mutter (seltener einen Vater), die ihr Kind aufgrund eigener Betroffenheit gegen den anderen Elternteil beeinflusst. - Die Überlegungen, die sich anschließen, beginnen in der Tat mit der Frage, ob es Sinn ergibt, den Umgang auch gegen den Widerstand des Elternteils, bei dem das Kind lebt, oder gegen den erklärten und praktizierten Widerstand des Kindes durchzusetzen.

Tatsächlich kann es gelingen, Kontakte anzubahnen und die Beziehung zwischen Kind und abgelehntem Elternteil wider alle Erwartung zu stabilisieren. Immer wieder ist zu beobachten, wie Kinder auch nach längerer Unterbrechung an frühere Beziehungen mühelos wieder anknüpfen können. Ein ablehnender Elternteil kann sogar beruhigt sein, wenn er erlebt, dass die Kontakte dem Kind nicht schaden, sondern dass es davon – vor allem langfristig –profitiert. Es ist die Aufgabe der Gutachter, die erforderlichen Informationen an die Familiengerichte zu liefern, in welchen Fällen beherzte und entschlossene Anbahnungen von Umgängen auch gegen Widerstände erfolgversprechend sein können.

Die Einsetzung eines Umgangspflegers zur Unterstützung kann immer nur für begrenzte Dauer sinnvoll sein. Bei auf Dauer „erzwungenen“ Umgängen scheint die Belastung für die Kinder jedoch eher zuzunehmen und den Kontakt zum kontaktsuchenden Elternteil langfristig deutlich zu verschlechtern[2] 


Ordnungsgeld hat sich hier als weniger erfolgversprechendes Mittel erwiesen - denn Druck von außen führt zu keiner Einstellungsänderung, sondern verhärtet eher die Fronten gegen den anderen Elternteil („Jetzt kann ich dir keine neuen Schuhe kaufen, weil ich das Ordnungsgeld zahlen muss, das Papa beantragt hat.“). Auch muss hier wiederholt werden, dass die dauerhafte Ablehnung von Besuchen nicht plausibel ausschließlich mit manipulativen Eingriffen und Einflüssen erklärt werden kann, sondern aus einer inneren Not erwächst, die dem Kind unbewusst nahelegt, den Weg einer klaren Parteinahme und scharfer Abgrenzung zu wählen, weil der Konflikt damit besser erträglich wird. Nur äußerlich sieht es so aus, als würden sich diese Kinder scheinbar völlig kritiklos und einseitig glorifizierend an einen Elternteil binden. Diese Dynamik ist auch der Grund, warum die Anwendung von Zwang bei diesen Kindern eher zu verstärkter Ablehnung als zu einer Wiederannäherung führt.


Der Entzug der elterlichen Sorge stellt die äußerste Form der möglichen Zwangsmaßnahmen dar. Das Anliegen, den umgangsvereitelnden Elternteil zu maßregeln oder den umgangsberechtigten Elternteil zu seinem Recht zu verhelfen, kann nicht der alleinige Maßstab für eine derart drastische Intervention sein. Vorrangig ist die Frage, welche Folgen eine solche Maßnahme für die Kinder hat. Ohne diesen Kindeswohlbezug würden die Kinder letztendlich wieder nur für die Interessen eines Elternteils instrumentalisiert. Um zu rechtfertigen, ein Kind gegen seinen Willen von einem Elternteil wegzunehmen, muss eine Schädigung des Kindes bereits eingetreten oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein. Der inkriminierte Elternteil muss als ausschlaggebende Ursache der Schädigung des Kindes zweifelsfrei feststehen – insbesondere im Abgleich mit dem Schaden, der durch den Paarkonflikt entsteht, an dem beide Eltern gleichermaßen mitwirken. Der letztgenannte Schaden, d.h. der Paarkonflikt, wird ja durch einen Aufenthaltswechsel nicht behoben, sondern mit veränderten Vorzeichen zumindest fortgeführt, vermutlich sogar eskaliert.

Handlungsleitend darf nicht in erster Linie die Sanktionierung eines Elternteils für etwaiges Fehlverhalten sein. Vielmehr muss die Empfehlung am Wohl des Kindes orientiert sein.


(Fehlende) Bindungstoleranz eines Elternteiles allein darf hierbei nicht das ausschlaggebende Argument sein. Eltern, die angesichts einer Verweigerung des Umgangs einen Aufenthaltswechsel fordern, stellen sich gerne als bindungstoleranter dar als der Antragsgegner, haben diese Toleranz aber noch nicht unter Beweis stellen müssen. Die Inbrunst und Schärfe eines über viele Jahre geführten Kampfes legt nahe, dass beide Seiten den jeweils anderen als unzumutbar für das Kind erachten, also gleichermaßen intolerant für die Bindungswünsche des Kindes sind, sobald sie vor der Aufgabe stehen, ihre Beziehung zum Kind mit dem Gegner teilen zu müssen. Beide Eltern bleiben fixiert auf die streitgegenständliche Frage, was der andere dem Kind „angetan“ habe und schaffen es nicht, diese Frage zum Bindungsgeschehen und zu den Bindungsbedürfnisse sowie zum inneren Erleben ihres Kindes in ein angemessenes Verhältnis zu setzen. 


[1] Salzgeber fordert, dass in der fachwissenschaftlichen Diskussion der Begriff des PAS vermieden werden sollte, da der Terminus PAS nicht wissenschaftlich erarbeitet wurde, sondern auf der persönlichen Erfahrung von Herrn Gardner fußt. „Eine wissenschaftliche Untersuchung, wie sie zur Begründung eines im Rahmen des Familienrechts herangezogenen Krankheitssyndroms notwendig wäre, fand nie statt.“ (Salzgeber, S. 400).

[2] Wallerstein, J.S., Lewis, J.S. und Blakeslee, S. (2002)



 
 
 

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