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Parental Alienation (PAS) - Fallkonstellationen - Folge 20

  • dubois70
  • 26. Feb.
  • 9 Min. Lesezeit
von Reinmar du Bois

Tutorial für Betroffene










Hinweise für Juristen



Was ist mit Parental Alienation Syndrome (PAS) gemeint


Das PAS entwirft ein geschlossenes Erklärungsmodell für die Umgangsverweigerung von Kindern. Das Modell verzichtet darauf, die Vielfalt der auf diese Weigerung einwirkenden Faktoren, z.B. das Alter der Kinder, deren aktuelle Situation, deren Beziehungsgestaltung, deren Vorgeschichte, die Persönlichkeit der Eltern, die Bindungsgeschichte des Kindes, sein eigenes Erleben und seine Bedürfnisse, die Streitdynamik usw. – zu berücksichtigen.

Das Phänomen „Entfremdung“ wird im PAS grundsätzlich damit erklärt, dass eine Mutter ihre Abneigung gegen den Vater auf ihr Kind überträgt und mit Hilfe von Suggestion und Manipulation bewusst und absichtlich darauf hinwirkt, im Kind Abneigung gegen den Vater zu generieren. Die Mutter sorge dafür, dass ihr Kind den Vater lange Zeit nicht sehen könne – mit der Folge, dass sich das Kind am Ende nicht mehr erinnere, wie der Vater wirklich sei. Nur Sanktionen und Druck vermögen dieses verwerfliche Verhalten der Mutter, das letzten Endes einer Kindeswohlgefährdung gleichkomme, zu stoppen.

Wenn Umgänge nicht wiederhergestellt werden können, dann müsse in letzter Konsequenz ein Aufenthaltswechsel verfügt werden.

Wie aber sieht die vielgestaltige Realität der Fälle aus, in denen eine Partei, allermeist ein Umgang einklagender Vater, das Parental Alienation Syndrom reklamiert?


Fallkonstellation 1 - Junges Kind kennt seinen Vater kaum oder (noch) nicht


In dieser Konstellation steht das Kind in Bezug auf den Aufbau einer Bekanntschaft oder Beziehung zum Vater noch ganz am Anfang und (wegen des Elternkonflikts) sofort vor hohen Hürden.

Das Kind hat bislang (wegen der sehr frühzeitigen Trennung der Eltern) keine Bindungen zum Vater aufbauen können, oft nicht einmal eine oberflächliche Bekanntschaft. Die Mutter ist die einzige Bezugsperson. Sich an dieser auszurichten, ist vorrangiges Selbsterhaltungsziel des Kindes. Eine Mutter, die - aus welchen Gründen auch immer - eine starke Antipathie gegen den Vater hegt oder sich in einer Abwehrhaltung gegen diesen befindet, schafft für ihr Kind eine psychologische Realität, die das Kind unweigerlich übernehmen muss. Eine hiervon abweichende Wirklichkeit könnte das Kind, selbst wenn diese Wirklichkeit für das Kind theoretisch von Vorteil wäre, nicht verstehen oder anerkennen. Wenn man dem Kind zumuten würde, sich einer Person anzuvertrauen, der die Mutter tief misstraut, käme dies einer Kindeswohlgefährdung gleich.

Interesse am Vater kann dieses Kind erst im Rahmen seiner Autonomieentwicklung schrittweise entwickeln. Es muss hierzu psychisch und kognitiv weit genug entwickelt sein. Davor ist es in der psychischen Entwicklung noch nicht so weit, um ein solches Interesse im Widerspruch zur Mutter durchzuhalten. Es würde hierdurch in Verwirrung gestürzt und würde Verlustängste erleiden.

Der wissenschaftlich gut belegte und praktisch erwiesene Nutzen eines frühen Beziehungsaufbaus zum Vater hat hier keine Chance auf Umsetzung in der Realität. Zur Klarstellung: Wenn in selteneren Fällen nicht die Mutter, sondern der Vater (eventuell zusammen mit dessen Familie) die wichtigste Bezugsperson eines Säuglings wäre und dieser eine tiefe Abneigung und Vorbehalte gegen die Mutter hätte, stünde der frühe Beziehungsaufbau zugunsten der Mutter vor der gleichen unlösbaren Herausforderung. In beiden Fällen, wo auf die Mitwirkung des anderen Elternteils bei der Betreuung des Säuglings verzichtet wird (dieser also „fremd“ bleibt), tritt aber im engeren Sinne keine Kindeswohlgefährdung ein. Umgekehrt käme es jedoch zu einer solchen Gefährdung, wenn das Kind trotz allem an den umgangsbegehrenden Elternteil herausgegeben würde.


Fallkonstellation 2 -  Kind meidet einen „Kriegsschauplatz“ (= Elternkonflikt)


Hier wird vorausgesetzt, dass ein Kind, bevor es zur Trennung der Eltern kam, eine positiv getönte oder sogar psychisch bedeutsame Beziehung zum Vater hatte, nun aber auf die Pflege dieser Beziehung aufgrund einer bewussten und sehr schmerzhaften Entscheidung verzichtet, weil es die Explosivität und die Gefährlichkeit des Zerwürfnisses zwischen den Eltern begriffen hat und nun befürchtet, zwischen den Fronten der Eltern aufgerieben zu werden.

Zur Vorgeschichte und zum besseren Verständnis einer solchen, scheinbar widersinnigen und selbst-schädigenden Entscheidung gehört, dass Kinder bis zum bitteren Ende unermüdlich bemüht sind, ihren streitenden Eltern schöne Momente zu bescheren in der Hoffnung, ihnen das Zusammenleben als Familie wieder schmackhaft zu machen, sie zur Besinnung und zum Einlenken zu bewegen. In den hier gemeinten Fällen sind diese Reparaturbemühungen für das Kind ab einem bestimmten Punkt (der schon vor oder erst nach der Trennung liegen kann) einfach zu schmerzhaft und zu anstrengend. Nun kommt es zur Entscheidung, auf Kontakte zum Vater zu verzichten. Dieser Entscheidung gehen oft anrührende Bemühungen des Kindes voraus, die Eltern doch noch zum Einlenken zu bewegen. Wenn das Kind schlussendlich resigniert, ist ihm bewusst, dass es Verzicht leistet und zugunsten einer Parteinahme für eine Seite (oft zugunsten der größtmöglichen Kontinuität) einen Verlust in Kauf nimmt.

Oft kommt hinzu, dass eine Mutter stark auf das Kind einwirkt, ihre negative Einschätzung des Vaters mit ihr zu teilen. Sie hat also wenig Verständnis für die anders gelagerte Verfassung des Kindes und ist insofern „bindungsintolerant“. Aber in der hier gemeinten Konstellation schenken sich beide Eltern in der gegenseitigen Verurteilung nichts. Sie sind beide ähnlich gnadenlos, ähnlich verbohrt, ähnlich nachtragend und toxisch, auch wenn beide Eltern die Ursache im jeweils anderen sehen und den eigenen Beitrag nicht erkennen, sie sind potentiell also beide intolerant für die Bindungswünsche des Kindes. Wichtig ist noch, dass Väter im Zusammenhang mit Besuchen oft den bisherigen Aufenthalt des Kindes in Frage stellen, damit also auch die Entscheidung des Kindes für den Aufenthalt bei der Mutter bzw. das Ringen des Kindes um Stabilität nicht respektieren.

Wenn man diese Kinder mit ihren Vätern im Rahmen der Begutachtung zusammenführt, zeigt sich oft, dass eigentlich überhaupt keine Entfremdung vorliegt, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass vom Vater ein falsches inneres Bild entstanden wäre. In den Zusammenführungen sind die Kinder oft ihren Vätern sehr zugewandt oder verhalten sich freundlich diplomatisch. Dies entspricht der tatsächlich immer vorhandenen positiven Verbindung, die sich die Kinder in einer geheimen Ecke ihres Bewusstseins zu bewahren versuchen. Es muss (den Müttern) immer wieder erklärt werden, dass diese Kinder nicht durch ihre Väter, sondern durch den Streit der Eltern „traumatisiert“ sind. Der Verzicht auf den Umgang rührt also nicht daher, dass die Kinder die polemische Sicht der Mutter übernommen haben, sondern daher, dass sie die Gefährlichkeit des Zusammenwirkens zwischen den Eltern realistisch einschätzen. Das Kind hat erlebt, dass es im Zuge der Besuche immer stärker in den Sog des elterlichen Konflikts hineingezogen wird und hierbei zerrissen wird, und hat die Konsequenzen gezogen. Diese Erfahrung ist real, also nicht suggestiv verursacht, und die daraus gezogene Konsequenz ist eine autonome Willensleistung des Kindes.

 

Fallkonstellation 3 - Kind kennt den Vater aus eigener Betroffenheit als schwierigen Charakter


In dieser Konstellation ist der umgangsbegehrende Vater tatsächlich eine problematische Persönlichkeit und zeigt sich als solche auch während der Begutachtung. Er wird als solche zudem von Dritten beschrieben. Er ist während des Zusammenlebens und der Streitigkeiten der Eltern auch vom Kind als solche erlebt worden, sei es, dass sich das Kind hierzu auch einlassen möchte oder aber darüber hinweggeht. Eine eigene Erfahrungsgrundlage des Kindes kann stets plausibilisiert werden.

Die Einschätzung des Vaters als schwieriger Persönlichkeit muss nicht bedeuten, dass das Kind dem Vater früher keine Zuneigung zeigen konnte oder zeigen kann. Zu unterstellen ist aber, dass das Kind Enttäuschungen und Irritationen mit diesem Vater erlebt hat, die bis heute nachwirken, selbst dann, wenn das Kind nicht, wie es Erwachsene tun würden, den Vater an den Pranger stellt.

Entfremdung könnte man hier nur insofern konstatieren, als sich das Kind tatsächlich Schutzreflexe zugelegt hat, die verhindern sollen, dass es erneut mit diesem Vater in schwierige Situationen gebracht wird. Die Gegenwehr des Kindes mag übertrieben erscheinen, wenn sich gutachtlich abzeichnen sollte, dass das Kind im Rahmen von Besuchen durch den Vater keine Erlebnisse befürchten müsste, die es erneut überfordern, ist aber aus der Sicht des Kindes vor dem Hintergrund vorausgegangener Erlebnisse nachvollziehbar. Das Kind musste seine Zuneigung zum Vater immer schon gegen Ängste und gemischte Gefühlslagen behaupten und verarbeiten.  Dies ist der Erlebnishintergrund, der ein Kind nach einer Trennung bewegen kann, den Vater nicht sehen zu wollen. Diese Fallkonstellation schließt nicht aus, dass eine Mutter, weil sie eigene schwierige Erfahrungen mit dem Vater hatte, ihr Kind bei seiner Weigerung unterstützt. Dennoch kommt es vorrangig auf die persönliche, und authentische Erlebnisperspektive des Kindes an. Die Weigerung hat ihren wichtigsten Ursprung in der Betroffenheit des Kindes. Sie ist nicht erst durch ein eventuell suggestives Verhalten der Mutter entstanden.

 

Fallkonstellation 4 - Junges Kind ist trotz gegenteiliger Einflussnahme der Mutter an Besuchen des Vaters stark interessiert


In dieser Fallkonstellation kann ein Kind während der Begutachtung anfänglich durchaus entfremdet wirken. Die Mutter erklärt, das Kind verweigere die Besuche beim Vater. Diese Behauptung entlarvt sich jedoch rasch als falsch, denn bei einer Wiederbegegnung mit dem Vater taut das Kind sofort auf. Sein zugewandtes, natürliches, freudiges und neugieriges Verhalten steht in vollkommenem Widerspruch zum kurz zuvor dargebotenen Verweigerungsverhalten. Die Weigerung des Kindes ist in dieser Fallkonstellation also offensichtlich suggestiv entstanden. Der Begriff Entfremdung ist hier zu hoch gegriffen, denn dieser Begriff bezeichnet einen tiefgreifenden, nur schwer reversiblen Prozess, nicht eine Suggestion, die sich nach wenigen Minuten in Nichts auflöst.  In dieser Fallkonstellation kann sich die Frage stellen, ob ein Wechsel des Kindes zum Vater in Betracht kommt, weil die Mutter eine wichtige Seite der Gefühlswelt des Kindes leugnet, übersieht oder missachtet. Ein eventueller Aufenthaltswechsel hängt jedoch von weiteren Faktoren ab und bedarf einer sorgfältigen Abwägung: Ist der Vater überhaupt daran interessiert und sieht sich in der Lage, die verantwortliche Hauptbezugsperson zu werden? Ist die Mutter auch in anderen Belangen für die Bedürfnisse des Kindes unsensibel? Dient ein Betreuungswechsel dem Kindeswohl - im Hinblick auf seine bisherigen Beziehungen und zur Wahrung seiner psychischen Gesundheit? Wie vergleichen sich die Eltern – bei einer breiter angelegten Betrachtung - hinsichtlich ihrer Eignung zur Erziehung, Versorgung und Befriedigung emotionaler Grundbedürfnisse? In jedem Fall muss das Familiengericht aber auf Umgängen des Kindes mit seinem Vater nachdrücklich bestehen - auch gegen die Gefühlslage der Mutter. Das Kind muss für seelisch robust genug gehalten werden, seine positiven Gefühle für den Vater auch gegen den Widerstand der Mutter zu behaupten. Diese Voraussetzung ist oft, aber nicht immer, erfüllt. Je älter die Kinder, desto robuster vertreten sie ihre Interessen. Auch eine robuste Konstitution ist hilfreich. Das Gutachten wird hierzu geeignete Feststellungen treffen.

 

Fallkonstellation 5 - Älteres Kind wollte eigentlich sogar zum Vater umziehen, aber hat einen kompletten Rückzieher gemacht


In dieser Fallkonstruktion verbirgt sich hinter der Weigerung eines Kindes, den Vater besuchen zu wollen, tatsächlich der umgekehrte Wunsch, sich ganz auf die Seite des Vaters zu begeben. Dieser Hintergrund verrät sich aus der Vorgeschichte, in der es einen regen Besuchsverkehr mit dem Vater gegeben hatte. Der Weigerung war eine immer stärkere Annäherung vorausgegangen, was auch der Mutter nicht verborgen geblieben war.

Das Kind hatte seine Sehnsucht nach dem Vater, ja, sogar seinen expliziten Wechselwunsch der Mutter auch bekannt und musste erleben, dass sein Vorstoß ein mittleres Erdbeben ausgelöst hatte. Das Kind musste befürchten, dass die Mutter ihm die Zuneigung entziehen würde. Nun zieht das Kind die „Notbremse“ und beginnt den Vater zu beschuldigen, er habe sich fehlerhaft oder verwerflich verhalten. Das widersinnige Verhalten des Kindes erklärt sich als Versuch, die Mutter zu beschwichtigen.

In einem solchen Fall muss das Gutachten beherzt in den Prozess eingreifen. Es kommt einer Gefährdung des Kindeswohls gleich, wenn ein Kind in die Not gerät, ureigene Bedürfnisse (hier: die Pflege wichtiger Bindungen) umdeuten und ins Gegenteil umkehren zu müssen. Es müssen Räume eröffnet werden, in denen das Kind seine wahren Bedürfnisse zeigen kann und mit diesen Bedürfnissen gesehen werden kann. Trotz der paradoxen Situation einer Umgangsverweigerung muss ein Aufenthaltswechsel ins Spiel gebracht werden. Diese gutachtliche Empfehlung muss so kommuniziert werden, dass die Mutter keinen gegenteiligen Druck auf das Kind aufbauen kann, bevor das Gericht über einen Aufenthaltswechsel entscheidet.

 

Fallkonstellation 6 - Kind ist mit einer psychisch auffälligen Mutter eng (untrennbar) verbunden


Bei dieser Fallkonstellation ist ein Kind tatsächlich in vollem Bedeutungsumfang von Entfremdung betroffen, oft nicht nur vom Vater, sondern von weiteren Personen, die ein intaktes soziales Umfeld ausmachen.

Das Kind hat den Vater seit langem nicht mehr gesehen und bewahrt ein tiefreichend verzerrtes, angstbesetztes Bild von ihm. Die Mutter ist zumindest seltsam und lebt zurückgezogen oder aber ist manifest psychiatrisch erkrankt oder nach einer psychiatrischen Erkrankung nicht ausreichend wiederhergestellt. Das Kind erlebt die Welt und alle sozialen Beziehungen aus der Perspektive der Mutter. Das Kind versteht sich als vom Schicksal bestimmter Begleiter der Mutter, ja, sogar als überlebensnotwendig für die Existenz der Mutter und bestätigt diese in ihrem Denken und ihren Wahrnehmungen. Das Kind bildet bisweilen die einzige Brücke zur Außenwelt. Eine Trennung von der Mutter ist im Selbstverständnis des Kindes undenkbar und / oder stark angstbesetzt. Auch die psychisch kranke Mutter klammert sich an ihr Kind und verhindert dessen soziale Entfaltung. Das Innenleben der Mutter ist mit dem Innenleben des Kindes auf ungesunde Art verwachsen. Es drängen sich hier Lösungen auf, die darauf hinauslaufen, das Kind von der Mutter zu trennen, zumindest aber für eine spätere Trennung zu ertüchtigen. Zur Wiederherstellung einer allgemeingültigen Realität muss das Kind mit weiteren Bezugspersonen in Kontakt bleiben und seine Außenbeziehungen ausbauen. Die (Wieder-)Annäherung an den Vater ist ein wichtiger Ausgangspunkt dieser Bemühungen.

Die Entfremdung des Kindes vom Vater erschwert die Umsetzung dieses Vorhabens. Das Kind setzt den gewünschten Besuchen und erst recht einem Aufenthaltswechsel starken Widerstand entgegen. Hinzu kommt, dass der Vater in vielen Fällen zwar um sein Besuchsrecht kämpft, nicht aber auf die Aufgabe vorbereitet ist, das Kind bei sich aufzunehmen und die volle Verantwortung zu übernehmen. Es sind vor allem professionelle Helfer, die sich einen Aufenthaltswechsel wünschen, weil sie den schlechten psychischen Zustand der Mutter und die Notlage des Kindes ständig vor Augen haben.

 

 


 
 
 

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