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Streitfälle im Umgangsrecht (2) - Folge 18

  • dubois70
  • 25. Feb.
  • 11 Min. Lesezeit



von Judith Arnscheid

Tutorial für Betroffene

„Ich will meinen Papa nicht mehr sehen, wie oft muss ich das denn noch sagen, keiner hört mir zu! Nachdem, was er uns angetan hat, ist das doch wohl klar. Außerdem ist das nicht mein Vater, sondern mein Erzeuger, keiner kann mich zwingen, ihn zu treffen. Lasst mich endlich in Ruhe!“

 

„Natürlich darf Sophie ihren Vater jederzeit sehen, wenn sie das möchte, aber sie möchte eben nicht. Ich kann sie nicht dazu zwingen. Außerdem kämen ohnehin nur begleitete Umgänge in Betracht, nach all dem, was sie mit ihm erlebt hat. Ihre Halbschwester hat er geschlagen, Sophie musste das alles miterleben. Mir unterstellt man immer, ich würde die Umgänge nicht fördern, aber ich tue doch alles, damit sie hingeht. Nur zwingen will ich sie wirklich nicht.“

 

„Tim muss erstmal zur Ruhe kommen, ich glaube, eine Aussetzung der Umgänge würde ihm guttun. Kein Wunder, dass er seinen Vater nicht mehr sehen möchte, der will immer mehr und immer mehr, ohne Rücksicht auf Tims Bedürfnisse zu nehmen. Jetzt will er sogar, dass Tim bei ihm übernachtet und sieht gar nicht, dass das zu viel für Tim ist. Für Tim wäre es wirklich besser, er könnte jetzt einfach mal Kind sein, ohne dauernd zu Umgängen gezwungen zu werden.“







Ausgangslage für Umgänge nach der Trennung


Wenn Familien auseinanderbrechen, bringt das viele Erschütterungen und Unsicherheiten vor allem auch für die betroffenen Kinder mit sich. Sie müssen sich – ebenso wie die Eltern – neu orientieren und zurechtfinden. Möglicherweise haben sie Verlustängste, weil plötzlich ein Elternteil nicht mehr da ist und sie sich fragen, ob der andere Elternteil genau so plötzlich verschwinden wird. Vielleicht gab es vor der Trennung fürchterliche Konflikte, die sie miterleben mussten – und die auch nicht aufhören, nachdem die Eltern sich getrennt haben. Häufig müssen sie erleben, dass sie selbst Bestandteil dieser Konflikte sind, was eine enorme Belastung mit sich bringt.

Dass Umgangsregelungen zwischen Eltern, die sich getrennt haben, weil sie nicht mehr miteinander klarkommen, immer gewisse Schwierigkeiten mit sich bringen, liegt in der Natur der Sache. In den allermeisten Trennungsfamilien allerdings beruhigt sich die Situation nach der Trennung in den ersten ein bis zwei Jahren. Bei einem geringen Teil jedoch bleiben die Konflikte unverändert eskaliert und belasten damit auch den Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil. Bindungsfürsorge[1] ist das, was man sich für Scheidungskinder wünscht, nämlich, dass beide Elternteile sich aktiv darum kümmern, dass den gemeinsamen Kindern der Kontakt zum anderen Elternteil erhalten bleibt. Das kann damit beginnen, dass man gemeinsam mit den Kindern Bilder des anderen Elternteils im Kinderzimmer aufhängt, das bedeutet auch eine gerechte Verteilung des Abholens und Bringens zu Umgangskontakten und resultiert im Idealfall auch in flexiblen Umgangslösungen, die sich an den Bedürfnissen des Kindes und dessen Alltagsstrukturen orientieren. Bei hoch konflikthaften Trennungen ist dies in der Regel nicht möglich. Hier erlebt man eher das Gegenteil, nämlich die Haltung, dass der andere Elternteil ohnehin nicht wirklich wichtig ist für das Kind oder gar die Überzeugung, der andere Elternteil schade dem Kind, so dass ein Kontakt mit ihm zum Schutz des Kindes unterbunden werden müsse.

Dass es auf Dauer eine enorme Belastung für Kinder darstellt, wenn sie bei jeder Übergabe zum Umgang erleben, wie ihre Eltern, die sie beide lieben, sich bekriegen, liegt auf der Hand. Darauf reagieren Kinder unterschiedlich, doch erleben sie sich häufig hilflos und überfordert. Wird die Belastung jedoch zu groß für ein Kind, wird es zum einen anfangen, sich auffällig zu verhalten (besonders aggressiv werden, regredieren oder sich depressiv zurückziehen), zum anderen besteht die Möglichkeit, dass es sich dadurch aus dem Konflikt zurückzieht, indem es beginnt, sich mit seiner Loyalität vollständig an einen Elternteil zu binden, während es den anderen Elternteil vollständig ablehnt.


[1] Temizyürek, J. (2018)


Vielfalt der Ursachen von Umgangsverweigerung


Umgänge mit dem getrenntlebenden Elternteil sind familienpsychologisch und so auch für den Gesetzgeber ein hohes Gut. Der Umgang mit einem Elternteil darf nicht einfach ausgesetzt werden, weil es „besser“ für das Kind wäre, sondern nur, wenn der Umgang dem Kind schadet und eine Aussetzung des Umgangs dem Kindeswohl „dient“.

Dass sich Eltern Sorgen machen, wenn ihr Kind Verhaltensauffälligkeiten zeigt, ist verständlich. Auch der Wunsch, zu reagieren und alles, was das Kind belasten könnte, aus dem Weg zu räumen, ist nachvollziehbar. Häufig nehmen Eltern im hocheskalierten Konflikt die Alarmsignale im Verhalten des Kindes zutreffend wahr, zeigen sich aber wenig flexibel und mit sehr eingeschränkter Sichtweise, was die Ursachenzuschreibung dieser Auffälligkeiten anbelangt: der andere Elternteil ist schuld. Das kann sich eher besorgt und vorsichtig äußern (der andere Elternteil könne sich nicht so gut in das Kind hineinversetzen, das Kind sei noch nicht so weit, bei ihm zu übernachten, er überfordere das Kind mit seinen vielen Unternehmungen), durchaus auch mit kritischeren Vorwürfen (der andere Elternteil manipuliere das Kind, besteche es mit Geschenken, untergrabe die eigene Autorität), kann sich aber auch, wie oben bereits erwähnt, bis dahin steigern, dass der andere das Kind traumatisiere, und kann sogar in strafrechtlich relevanten Vorwürfen gipfeln (der andere Elternteil misshandele oder missbrauche das Kind).

Nicht immer ist eine Umgangsverweigerung jedoch nur als kindliche Copingstrategie im elterlichen Konflikt zu sehen. Es gibt durchaus Kinder, die mit einem Elternteil entweder sehr irritierende Erfahrungen gemacht haben (z.B. das Kind eines psychotischen Elternteils) oder Gewalt erleben mussten. Die Ablehnung dieser Kinder bezieht sich dann nicht auf „geborgte Szenarien“, die das Kind innerlich nicht betreffen, sondern auf eigene Erlebnisse und Erfahrungen und spiegelt sich auch in einer gestörten Beziehung wider.


Typische Fallkonstellationen


A) Das Kind lehnt einen Elternteil, z.B. den Vater, verbal ab („Ich will den nicht mehr sehen, dass ist nicht mein Papa, das ist mein Erzeuger, der soll verschwinden…“), es weigert sich mit all ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gegen ein Zusammentreffen (Anklammern an die Mutter, Weinen, aggressives Verhalten, Weglaufen…), wenn es dann aber auf den Vater trifft, kann sich das Kind nach kurzer Zeit auf den Kontakt einlassen, auf alte Bindungen zurückgreifen und den Kontakt sogar genießen – bis es wieder zurück zur Mutter kommt, wo es betonen muss, wie schrecklich das Zusammentreffen mit dem Vater war.

 

B) Das Kind lehnt einen Elternteil, z.B. die Mutter verbal ab („Ich will den nicht mehr sehen, dass ist nicht mein Papa, das ist mein Erzeuger, der soll verschwinden…“) und weigert sich mit all ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gegen ein Zusammentreffen (Anklammern an den Vater, Weinen, aggressives Verhalten, Weglaufen…). Wenn es auf die Mutter trifft, ignoriert das Kind sie oder fängt sogar an, sie zu beschimpfen, läuft aus dem Zimmer und demonstriert – bisweilen fast schon theatralisch anmutend – dass es den Kontakt nicht will. Geschenke der Mutter werden verschmäht und nicht mit in das väterliche Umfeld mitgenommen.

 

C) Das Kind lehnt einen Elternteil, z.B. die Mutter verbal ab („Ich will den nicht mehr sehen, dass ist nicht mein Papa, das ist mein Erzeuger, der soll verschwinden…“) und weigert sich mit all ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gegen ein Zusammentreffen (Anklammern an den Vater, Weinen, aggressives Verhalten, Weglaufen…). Es scheint von echter Furcht oder Irritation getrieben, kann auch Verhaltensweisen des abgelehnten Elternteils und Erlebnisse mit diesem benennen, die eine Kontaktverweigerung einfühlbar machen (z.B. zu oft enttäuscht worden zu sein, geschlagen worden zu sein, etc.



Wie ist die Herangehensweise der GutachterInnen?

 

Wie aus den oben beschriebenen Fallkonstellationen zu ersehen, bleibt auch bei Kindern, die den Umgang mit einem Elternteil verweigern, die Interaktionsbeobachtung zwischen Elternteil und Kind das Herzstück der Begutachtung. Wir erleben häufig durch den eskalierten Elternkonflikt belastete Kinder, die klar Position gegen einen Elternteil einnehmen, jedoch oft wenig untermauert durch eigene Erlebnisse und Erfahrungen, sondern durch „geborgte“ Erinnerungen („Mama hat erzählt, Papa hat sie die Treppe runtergestoßen, als sie mit mir schwanger war.“) und Vermutungen („Papa mag mich gar nicht, der will nur Mama ärgern.“).

Ethisch wir Gutachter uns in einem Grenzbereich, wenn wir darauf bestehen oder ein Kind dafür gewinnen möchten, dem abgelehnten Elternteil im Rahmen einer Begutachtung zu begegnen, da hier die Freiwilligkeit der Teilnahme an einer Begutachtung tangiert wird. Wir dürfen es aber nicht zulassen, dass Verweigerungen der Interaktion oder aber die Interaktion selbst nichts weiter sind als Inszenierungen zum Beweis der eigenen Position im Parteienstreit. Andererseits dürfen wir es nicht versäumen, einem Kind, das mit seiner Weigerung ein wichtiges persönliches Anliegen vertritt, Respekt zu zollen und ihm genau zuzuhören.


Die Bereitschaft einer Mutter, ihre Besorgnis hintanzustellen und ihr Kind entschlossen durch die Begutachtung zu geleiten, wird von uns positiv bewertet. In aller Regel kann die Mutter mit dem Argument überzeugt werden[1], dass sie sich eine unnötige Blöße geben würde und Mitschuld an der Verweigerung trüge, wenn sie nicht alles Erdenkliche tun würde, um wenigstens den Fortgang der Begutachtung zu gewährleisten. Älteren Kindern kann begreiflich gemacht werden, dass die bloße Begegnung mit einem abgelehnten Elternteil im Rahmen der Begutachtung nicht schon bedeutet, dass als Ergebnis des Gutachtens feststünde, ein Besuchsverkehr könne wieder aufgenommen werden. Zunächst ist es für uns Sachverständige unverzichtbar mitzuerleben, wie Kind und Elternteil überhaupt aufeinander reagieren. 


Im Vorfeld der Interaktionsbeobachtung sind wir bemüht, mit dem Kind als auch mit dem Elternteil, bei dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, ein Szenario zu entwerfen (wo findet das Treffen statt, was genau soll da passieren, wie lange soll es dauern, wer soll dabei sein…), auf das beide sich einlassen können. Bei Schulkindern kann es sinnvoll sein, dem Kind zu ermöglichen, einen Freund oder eine Freundin mitzubringen – die eine weniger emotional belastete Verstärkung als die eigenen Eltern sind und dem abgelehnten Elternteil möglicherweise vorurteilsfreier begegnen als diese.

 

In der Interaktionsbeobachtung zeigt sich dann in der Regel rasch, ob das Kind trotz aller anderslautender Beteuerungen an gewachsene Beziehungen anknüpfen und sich auf den Kontakt einlassen kann, ob es seine Ablehnung auch weiterhin demonstrieren muss und ob die Gefühlslage des Kindes authentisch ist. Im Konfliktfall sollte man weder dem Kind noch dem abgelehnten Elternteil zumuten, die Begegnung über die volle dafür vorgesehene Zeit durchzustehen.

In jenen Fällen, wo Konflikte im Rahmen der Interaktion mutwillig reinszeniert werden, bestehen wir darauf, dass zumindest allgemeinen Regeln der Höflichkeit eingehalten werden – in unseren Untersuchungszimmern begrüßt und verabschiedet man sich, es wird keiner beleidigt oder angeschrien. Eltern werden mit ihrem Namen oder mit Mutter oder Vater angesprochen, nicht mit „Doofie“ oder „Erzeuger“.

 

Anlässlich der Interaktionsbeobachtung bestätigt sich oft ein weiteres Mal, dass nicht das Verhalten des abgelehnten Elternteils das Kind an sich belastet, sondern der eskalierte und beim Treffen der Eltern permanent spürbare Konflikt, das emotionale Minenfeld.

 

Anders kann sich das Vorgehen bei Kindern gestalten, die tatsächlich durch das konkrete frühere Verhalten eines Elternteils erhebliche Belastungserfahrungen machen mussten. Der grundsätzliche methodische Ansatz, mit dem Kind ein Treffen anzustreben, zu planen und durchzuführen, bleibt gewahrt, aber die Befürchtungen und Bedenken müssen sowohl auf Seiten des Kindes wie auf Seiten der Mutter nochmals sorgfältiger aufgenommen werden.

 

Einer Mutter, die hier das Argument einer „Retraumatisierung“ ins Spiel bringt, ist geduldig darzulegen, dass seelische Belastungserfahrungen, die ein Kind mit dem Vater, also einer Bezugsperson, gemacht hat, mit der es aufgewachsen ist und an die es – wie ambivalent auch immer - emotional gebunden ist, mit der Konstellation eines Traumas im Sinne der Posttraumatischen Belastungsstörung nichts (!) zu tun haben. Die Triggerung und das Aufflackern von Symptomen einer PTBS durch Auslösereize gehört in den Kontext der klassischen PTBS, nicht aber in den Kontext eines Familiendramas, in dem ein Kind (gemeinsam mit seiner Mutter) ängstigende Erfahrungen mit dem Vater gemacht hat - eingebettet in das frühere tägliche Zusammensein und Aufwachsen mit diesem. 

 

Was den glaubhaften Vorwurf von Gewalterfahrungen betrifft, so muss auf Seiten des „Täters“ selbstverständlich geprüft werden, ob dieser sein Verhalten inzwischen reflektiert und verändert hat und dem Kind nun neu begegnen möchte – dann können positive korrigierende Erlebnisse für das Kind heilsam und sinnvoll sein. Nur, wenn der Elternteil seinen eigenen Beitrag leugnet oder herunterspielt oder sogar den anderen Elternteil für sein Verhalten dem Kind gegenüber verantwortlich macht, kann es unter Umständen geboten sein, dem Kind ein Treffen zu ersparen, um die Situation nicht eskalieren zu lassen.

 

Gelegentlich verlängert sich ein Umgangsbegehren zur Forderung nach einem Aufenthaltswechsel. Die gewachsenen Bindungen des Kindes sind wie so oft das zentrale Entscheidungskriterium: Wie ist die Beziehung des Kindes zur Mutter, wie zum Vater? Wie war sie vor der Trennung? Inwieweit war der umgangssuchende, abgelehnte Elternteil in die Betreuung und Alltagsversorgung des Kindes involviert? Ein Kind, dessen Eltern sich beispielsweise kurz nach seiner Geburt getrennt haben und das bis zu seinem siebten Lebensjahr lediglich begleitete Umgänge mit dem Vater hatte (alle zwei Wochen für zwei Stunden), hat keine Bindung zu diesem Vater aufbauen können. Es kann schwerlich von der Mutter getrennt und einem faktisch beinahe Fremden in die Betreuung übergeben werden. Dieses Vorgehen würde die Entwicklung des Kindes unter normalen Umständen erheblich gefährden.

 

Ganz anders stellt sich die Situation bei einem Kind dar, das Vater und Mutter längere Zeit gemeinsam erleben durfte und zu beiden Bindungen aufbauen konnte, die Kontakte beim Vater auch nach der Trennung durch Wochenendbesuche und Ferienaufenthalte aufrechterhalten konnte und erst seit kürzerer Zeit die Umgänge verweigert, um sich dem elterlichen Konflikt zu entziehen.


Zu bedenken ist stets auch die „entwicklungsbezogene Ausgangslage“ des Kindes: Ist das Kind gut entwickelt, sozial integriert und psychisch gesund? Bei der Würdigung der Elternpersönlichkeiten ist zu prüfen, ob jener Elternteil, bei dem das Kind seinen Hauptaufenthalt hat, nicht nur Kontakte zum Vater, sondern auch zu anderen Personen (Verwandtschaft, Freunde, etc.) behindert, und somit eine adäquate Teilhabe und soziale Integration des Kindes unmöglich macht. Erst recht ändert sich die gutachtliche Abwägung, wenn ein Kind zur Begutachtung ansteht, das vernachlässigt und in basalen Grundbedürfnissen frustriert wird und entsprechende psychische Auffälligkeiten zeigt.


[1] Nur selten handelt es sich um Väter, nämlich dann, wenn das Kind bei diesen lebt und Besuche bei der Mutter verweigert.

 


Bedenkenswertes bei Anträgen auf Umgangsausschluss


Bedenken Sie als Väter und Mütter, die einen Umgangsausschluss begehren, dass der bloße Verzicht auf Umgänge unter der Vorstellung, das Kind möge „zur Ruhe kommen“, zunächst nichts am Verhältnis zwischen Umgangssuchendem und Kind ändert. Ihr Kind ist zwar häufig deutlich entlastet, weil es dem eskalierten Konflikt nicht mehr unmittelbar ausgesetzt ist. Korrigierende positive Erfahrungen mit dem abgelehnten Elternteil kann es dennoch nicht machen. Häufig wird auch seitens des ablehnenden Elternteils erklärt, dass das Kind den anderen jederzeit wieder sehen könne, wenn es das denn später wolle, aber dieser Wunsch entsteht nicht „einfach so“, und die Entlastung durch das Wegfallen des Konfliktes ist manchmal einfach stärker als der Wunsch nach Kontakt zu einem Elternteil, an den man sich vielleicht gar nicht mehr so recht erinnern kann und mit dem das Kind riskieren würde, dass der Konflikt zwischen den Eltern wieder auflodert.

Auch eine Therapie des Kindes kann alleine nicht als sinnvolle Interventionsmaßnahme betrachtet werden. Natürlich kann eine Therapie bei einem Kind, das psychische Belastungssymptome oder psychopathologische Auffälligkeiten zeigt, eine sinnvolle Maßnahme darstellen, nur ist das Therapieziel dann die Reduktion der Symptome – nicht zwingend der Aufbau einer guten Beziehung zu beiden Elternteilen. Eine Therapeutin, die einseitig im Sinne eines Elternteils handelt oder zwischen gegensätzlichen Aufträgen der Eltern aufgerieben wird, kann sich den Bedürfnissen des Kindes nicht zuwenden.

Kinder, die durch den Wegfall der Umgangskontakte und damit auch den Wegfall der Konfliktlage so entlastet sind, dass sie gar keine Auffälligkeiten zeigen, werden durch die Einleitung einer psychotherapeutischen Maßnahme für ein Problem pathologisiert, das eigentlich Sie als Eltern mit ihrer Unfähigkeit, den Konflikt zu deeskalieren, verursacht haben. Hier laufen Sie Gefahr, der Psychotherapie eine Art „Feigenblattfunktion“ zuzuweisen („Aber wir tun doch alles, damit es dem Kind gut geht, es geht sogar in Psychotherapie“). Schlimmstenfalls werden Therapeuten in nachfolgenden gerichtlichen Auseinandersetzungen dazu instrumentalisiert, Begründungen beizusteuern, warum eine Wiederaufnahme des Umgangs dem Kind schaden würde. In anderen Fällen erhalten Therapeuten den Vorwurf, dass sie ihren Patienten nicht dazu motivieren konnten, die Umgänge wieder aufzunehmen.

 

Auswege aus der Krise?


Sinnvolle Interventionen können zunächst nur bei Ihnen als Eltern und beim Kind ansetzen, z.B. mit Programmen wie „Kinder im Blick“ oder auch bei speziell geschulten Mediatoren für Hochkonfliktfamilien. So komplex, wie die Problemlage des einzelnen Falles ist, so individuell muss auch die Intervention sein.

Sie sollten sich in dieser verfahrenen Situation Unterstützung holen. Die Perspektive eines unbeteiligten Dritten auf die Dynamik kann helfen, diese besser zu durchschauen. Die Schuld lediglich beim anderen zu suchen, hilft dem Kind nicht weiter, sondern verhärtet den Konflikt. Für den entfremdeten Elternteil gilt es realistisch einzuschätzen, inwieweit das Kind tatsächlich „entfremdet“ ist oder ob das Kind nur Verhaltensweisen zeigt, die ebenso in Beziehungen zwischen Eltern und Kindern auftreten können, die zusammenleben, und die gemeinsam angegangen werden müssen. (Weitere Informationen über "Entfremdung" finden Sie in Blog Nr. 19). Für den Elternteil, an den sich das Kind gebunden hat, gilt zu bedenken, dass das Kind möglicherweise die eigene Gefühlslage und die eigenen Erwartungen bedient, und die Ablehnung nur der Loyalität und nicht einer gestörten Beziehung zum anderen Elternteil geschuldet ist. Zu einer Haltung zu finden, sich zu fragen, was man selbst tun könnte, um den Konflikt zu entschärfen und die Situation für das eigene Kind damit zu entspannen und zu verbessern, ist gerade in eskalierten Konflikten emotional schwierig. Das Kind und seine Bedürfnisse unabhängig von der eigenen Gefühlslage wahrnehmen zu können, erfordert ein großes Maß an Offenheit und Reflexionsbereitschaft, das häufig nur mit Hilfe neutraler Dritter erreicht werden kann.

 
 
 

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