Tutorial für Betroffene
von Reinmar du Bois
"Als Vater will ich schon von Anfang an Bezugsperson meines Kindes und nicht nur Zuschauer sein!"
Normalfall – Vielfalt der eingeschlagenen Wege
Paare, die sich kurz nach der Geburt eines ersten Kindes oder sogar schon vor dessen Geburt wieder trennen, schlagen sehr unterschiedliche Wege ein. Hier soll es nicht um die theoretisch interessante Frage gehen, welches elterliche Vorgehen dem Kind während seines Aufwachsens am besten dienen würde. Die bereits in frühen Entwicklungsphasen wichtige Bedeutung der Väter ist wissenschaftlich gut erforscht und unstreitig. Es geht um die naturalistische Tatsache der großen Vielfalt der Verläufe: Manche Mütter wenden sich entschlossen vom „Erzeuger“ des Kindes ab und geben dem Kind für lange Zeit keine Chance diesen kennenzulernen. Dieser „Erzeuger“ kann das Vorgehen der Mutter enttäuscht hinnehmen. Er kann es in anderen Fällen sogar begrüßen, weil es ihm ebenfalls gelegen kommt, die Beziehung „abzuhaken“. Andere Mütter wären am weiteren Kontakt und einer Zusammenarbeit mit dem Vater aus unterschiedlichen Gründen, nicht zuletzt zum Wohle ihres Kindes, durchaus interessiert, aber scheitern mit diesem Wunsch am Widerstand oder Desinteresse des Vaters. Andere Väter – hier nähern wir uns den Fällen, die vor Familiengerichte gebracht werden - , wünschen sich ausdrücklich, am Leben ihres Kindes von Anfang an teilzunehmen, aber scheitern am beharrlichen Widerstand der Kindsmutter und / oder deren neuem Partner. Die einen finden sich mit dieser misslichen Lage schließlich ab und hoffen darauf, dass ihr Kind zu einem späteren Zeitpunkt auf den unbekannten Vater neugierig werden und auf diesen selbstbestimmt zugehen wird. Die anderen beginnen hier ihren Kampf um ihre Vaterschaft und ziehen vor Gericht.
Gutachter, deren Alltag es ist, heftig streitende Paare zu beurteilen, müssen sich zur Selbstvergewisserung daran erinnern, wie weit von der Normalität entfernt ihre berufliche Erfahrungswelt angesiedelt ist. In der „normalen“ Wirklichkeit können sich auch Eltern, die kurz nach der Geburt eines Kindes auseinandergehen, durchaus darauf verständigen, dass der Vater von Anbeginn neben der Mutter eine primäre Bindung zum Kind aufbaut und pflegt. Es ist nachvollziehbar, dass eine solche Verständigung besonders leicht gelingt, wenn sich die Mutter nach der Trennung längere Zeit nicht wieder neu an einen Partner anschließt und keine neue Familie gründet, oder aber, wenn beide Erzeuger des Kindes nach ihrer Trennung für längere Zeit unschlüssig sind, ob sie nicht doch zusammenleben wollen.
Keiner dieser Fälle, in keiner der geschilderten Konstellationen, verläuft also automatisch als Hochkonflikt und gelangt zur Begutachtung.
Streitfälle - Gemeinsamkeiten
Wann immer sich Eltern, den oben geschilderten Lösungsmöglichkeiten zum Trotz, über den Umgang eines Säuglings oder Kleinkindes hochstrittig auseinandersetzen und zu keiner Einigung kommen, lassen sich zwei Merkmale identifizieren:
Das erste Merkmal betrifft die allgemein bekannte und an anderer Stelle bereits beschriebene Charakteristik des Hochkonflikts. Sie soll hier noch einmal zusammengefasst werden: Keine der Parteien kann sich aus der Verstrickung befreien. Mit der ewigen Fortsetzung des Streits wird in Karikatur gleichsam die Beziehung fortgesetzt, die eigentlich beendet ist. Beide Parteien leisten zur Verfestigung des Streits wesentliche Beiträge. Feindseligkeiten, taktische Manöver, Gefühle von starkem Hass und/oder starker Angst prägen den Umgang miteinander.
Das zweite Merkmal betrifft den besonderen Charakter des väterlichen Anliegens. In den meisten familienrechtlichen Streitfällen kämpft einer der Eltern darum, eine (aufgebaute und bestehende) Beziehung zu einem Kind fortsetzen zu können. Dieser Fall trifft hier nicht zu. Der Vater hat seine Beziehung zum Kind noch gar nicht wirklich begonnen. Diese ist allenfalls eine Verheißung für die Zukunft. Er kann lediglich darüber Klage führen, dass ihm etwas, das er nie hatte, vorenthalten und nicht vergönnt wird. Folgerichtig zielt die Argumentation auf grundsätzliche Thesen über die psychologische, wissenschaftlich erwiesene Bedeutung des Vaters und leitet hieraus den Anspruch des Kindes auf einen Vater ab. Um diesen Anspruch einlösen zu können, müsste der Vater am Aufwachsen des Kindes so beteiligt werden, dass daraus eine enge Verbundenheit entsteht. Dieser Anspruch steht in bitterem Widerspruch zur Realität der gescheiterten und verhakten Beziehung zur Kindsmutter. Das zähe Festhalten am Anspruch gelingender Vaterschaft allen Widrigkeiten zum Trotz (die viele andere längst zur Anpassung bewogen hätte) lässt sich zumeist besser verstehen, wenn der Gutachter die eigenen Kindheitserfahrungen der klagenden Väter näher erforscht hat. Vor diesem – oft schmerzlichen - biografischen Hintergrund erwächst auf Vaterseite das Bewusstsein, unwiderlegbar legitimiert zu sein und sich gemeinsam mit anderen Schicksalsgenossen auf einer Mission zu befinden. Das Verlangen nach Anerkennung väterlicher Ansprüche auf sein Kind, psychologisch besser formuliert als Ansprüche des Kindes auf seinen Vater, kann eine beträchtliche Eigendynamik annehmen und sich über viele Jahre aufschaukeln.
Entgegenstehende Erwägungen, welche die Bindungs-, Sicherheits- und Loyalitätsbedürfnisse des Kindes in Bezug auf die Mutter in Rechnung stellen, werden unter Verweis auf mütterliche Missgunst und Manipulation in Frage gestellt oder ignoriert. Väter, die im Sinne dieser Charakterisierung allen offenkundigen Widrigkeiten trotzen, die sich aus dem jungen Alter des Kindes und dem Widerstand der Mutter ergeben, richten oft ihr ganzes Leben auf diesen Kampf aus. Sie riskieren dabei sogar eigenen beruflichen und persönlichen Schaden.
Vor diesem Hintergrund ist nicht verwunderlich, dass sich unter Vätern, die mit dieser Fragestellung zur Begutachtung gelangen, überzufällig häufig akzentuierte, psychisch belastete Persönlichkeiten finden. Diese Tendenz erspart den Gutachtern jedoch nicht die Aufgabe, in jedem Einzelfall die Verhältnisse genau zu prüfen. Unabhängig vom Ausgang dieser Prüfung gilt als Gegenargument ohnehin stets, dass der Wunsch eines Vaters, einem Kind nahe zu bleiben, das er gezeugt hat, und dieses aufwachsen zu sehen, vollkommen angemessen und im Sinne des Kindeswohls ist.
Streitfälle – Unterschiede
Abgesehen von den genannten Gemeinsamkeiten sind die Fälle, die wir gutachtlich zu bearbeiten haben, recht verschieden und verlangen diverse Lösungen. Als Gutachter nähern wir uns den Fällen am besten über eine Analyse der subjektiven und objektiven Situation des Kindes und seiner psychologischen Bedürfnisse. Wir verfolgen also das Ziel, mit unserer Empfehlung das Kind vor aktuellen und zukünftigen Gefährdungen zu bewahren. Das Ergebnis diese Analyse fällt unterschiedlich aus, je nachdem, ob das Kind mit einer psychisch labilen Mutter konfrontiert ist, die es durch ihr Verhalten irritiert oder aus anderen Gründen diesem die Befriedigung wichtiger Grundbedürfnisse versagt, oder ob die Mutter – ganz im Gegenteil - psychisch stabil ist und / oder sogar eine neue Familie gegründet hat. Das Ergebnis der Analyse divergiert ebenso stark, je nachdem ob der Vater psychisch labil ist und vom Kind im Umgang als belastend und irritierend erlebt wird oder erlebt werden würde oder ob der Vater psychisch stabil ist und / oder sogar eine neue Familie gegründet hat.
In Anbetracht dieser Vielfalt ist auch das Spektrum der Empfehlungen sehr breit. Es reicht von Umgangsausschlüssen über paritätische Lösungen bis zu Aufenthaltswechseln von der Mutter zum Vater. Der Verzicht auf Umgänge ist stets ein erheblicher, die spätere Identitätsbildung des Kindes berührender entwicklungspsychologischer Nachteil. Er darf nur in Abwägung gegen Nachteile in Kauf genommen werden, die noch schwerer wiegen. Solche Nachteile können in der Angst des Kindes vor dem Verlust seiner Beziehung zur Mutter oder in Desorientierung und Verunsicherung in Bezug auf die Mutter begründet sein. Ein sehr junges Kind erlebt seine (oft alleinerziehende) Mutter aus gutem Grund als besonders existenziell und unverzichtbar. Der ausschlaggebende Nachteil kann auch darin liegen, dass ein Vater für den Umgang mit einem (ihm kaum bekannten) Kleinkind nicht ausreichend geeignet erscheint.
Umgangslösungen gegen den Widerstand der Mutter empfehlen wir als Gutachter dann, wenn wir uns davon überzeugen können, dass das Kind ein waches Interesse am Vater hat und mit den Ängsten und Vorbehalten der Mutter robust umgehen kann. Gutachtlich erleben wir oft, dass sich ein Kind zum Vater vollkommen anders verhält, als dies aus den Schilderungen der Mutter zu erraten war, aber auch anders, als der Vater angenommen hatte, etwa, wenn er beim Kind von einer weitgehenden „Entfremdung“ ausgegangen war. Eine Herausforderung besteht darin, eine Mutter, die sich Umgänge eigentlich nicht vorstellen kann, mit Hilfe gerichtlicher Vorgaben so zu führen, dass sie zumindest die äußeren Rahmenbedingungen zur Ermöglichung der Umgänge einhält.
In der Begutachtung erleben wir auch Kinder, die sich bei ihren Müttern in einer suboptimalen Versorgungs- und Bindungssituation befinden und vor diesem Hintergrund eine frühe Neugierde entwickeln, sich dem Vater, auch wenn dieser noch weitgehend unbekannt ist, zu nähern. Solche kindlichen Tendenzen müssen zur Absicherung der gesunden psychischen Entwicklung unbedingt erkannt, gefördert und auch gegen den Willen der Mütter durchgesetzt werden.
Sehr großzügige Umgangslösungen oder sogar paritätische Aufenthaltslösungen kommen in vielen anderen Fällen jedoch, wenn die bisherige Hauptbezugsperson sich sträubt, kaum in Betracht. Es gibt allerdings auch hier Ausnahmen, etwa, wenn das Sträuben auf gerichtliche Streitigkeiten begrenzt bleibt, während das Kind im Alltag erleben kann, dass die Eltern einigermaßen unbeschwert miteinander umgehen und sich absprechen können. Diese günstige Variante lässt sich daran erkennen, dass ein Kind bei der Begutachtung zum Ausdruck bringt, dass es einem großzügigen Umgang zugeneigt ist, auch wenn die Mutter gerichtlich dagegen ankämpft.
In der Begutachtung begegnen wir aber auch extremen Fällen, in denen sich ein Kleinkind bei der Mutter in einer ausgesprochen prekären Lage befindet, beispielsweise weil diese manifest psychisch krank ist. Hier ist der Vater, der Umgang begehrt, am Ende sogar der Rettungsanker für das Kind und könnte, allen Hindernissen zum Trotz, (die im Normalfall einen Umgang einschränken würden), sogar als Hauptversorger oder zumindest als wesentlicher Mitversorger in Betracht kommen, der bei Ausfall der Mutter einspringen kann.
Probleme im Verlauf der Begutachtung
Hochkonfliktfälle, die den Umgang eines Vaters mit einem Säugling oder Kleinkind betreffen, gehören zum Schwierigsten in der Gutachterpraxis überhaupt - nicht, weil die Empfehlungen, die schlussendlich herauskommen, schwierig herauszufinden sind, sondern weil die praktische gutachtliche Tätigkeit mit den Parteien so herausfordernd ist. Sachverständige bewegen sich hier in einer (zudem digital vernetzten) „Welt“ von Unbeirrbarkeit und Betroffenheit, die dem Common Sense oder üblichem Augenmaß keine Chance mehr zu bieten scheint und sogar Psychotherapie und Mediation ratlos macht. Die Sachverständigen sind beispielsweise mit bedrängendem, verfolgendem oder verzweifeltem Verhalten der Väter konfrontiert. Diese sind oft nicht einmal anwaltlich beraten. Einige argumentieren ausufernd, teilweise abstrus. Sachverständige sind in anderen Fällen mit ähnlich abstrusen Beobachtungen konfrontiert, die Mütter an Kleinkindern machen, teilweise mit filmischer Dokumentation. Mütter erleben tiefe, nicht immer leicht nachvollziehbare Angst vor den Vätern und projizieren diese auf deren Umgang mit den Kindern. Die gutachtlichen Explorationen können lange dauern und schwer zum Abschluss gebracht werden. Zu den umfangreichen Akten gesellen sich oft weitere nachgereichte Dokumente. Auffallend ist immer wieder das Missverhältnis zwischen der Kürze des elterlichen Zusammenlebens und dem überbordenden Reichtum an Dokumenten, Bildern, Datenträgern und Schriftverkehr, nachdem die Beziehung längst beendet wurde. Die Begutachtung offenbart, dass das Scheitern der Paarbeziehung zumindest bei einem der Parteien eine bereits vorhandene Wunde dauerhaft neu geöffnet hat und/oder das gezeugte Kind für einen der Partner eine existenzielle Sinnfrage zu lösen verspricht.
Beide Parteien begnügen sich gegenüber den Sachverständigen nicht mit üblicher Überzeugungsarbeit, sondern suchen persönliche Ansprache und tieferes Verständnis, also Formen der Zuwendung, die nur einer Psychotherapie vorbehalten sind, sich in einem Begutachtungsprozess jedoch methodisch verbieten. Starke Vorwurfshaltungen und / oder Grenzverletzungen verlangen gelegentlich auch, dass die Gutachter die Parteien entschieden zur Ordnung rufen müssen. Diese Interventionen werden dann von Fall zu Fall als Befangenheit missverstanden.
Die am Ende der Begutachtung benachteiligte Partei reagiert oft nachtragend, kann das Ergebnis nicht akzeptieren, geht bis an die Grenze persönlicher Beleidigungen und Herabsetzungen und darüber hinaus (z.B. in Form von Kampagnen in medialer Öffentlichkeit) - sei es, weil einem Vater der Zugang zu seinem Kind weiterhin eingeschränkt oder versagt bleibt, sei es, weil eine Mutter gegen ihre Überzeugung und gegen ihr tiefes Empfinden die Anbahnung von Kontakten zum Vater erdulden muss.
Comments