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Begutachtung im Familienrecht - Folge 9: Wie soll ich mich verhalten?

Ratgeber für Betroffene

von Judith Arnscheid und Reinmar du Bois




Wie sollten Sie sich während der Begutachtung verhalten?


Als betroffener Elternteil werden Sie sich anlässlich einer bevorstehenden Untersuchung mit der Frage beschäftigen, wie Sie sich verhalten sollen. Machen Sie sich bitte kein fertiges Konzept, worüber Sie den Gutachter in Kenntnis setzen oder welche Wirkung Sie bei ihm erzielen wollen. Überlassen Sie dem Gutachter oder der Gutachterin die Regie über den Ablauf des Termins und die Richtung der Fragen. Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Anliegen im natürlichen Verlauf des Gesprächs befriedigend angesprochen werden und sich die meisten Fragen auf diesem Wege erledigen. Was immer zu fragen und zu sagen übrig bleibt, hat Zeit bis zum Ende der Exploration. Die Gutachter werden ihnen jede Zeit einräumen, die benötigt wird, um alles loszuwerden, was Sie für wichtig erachten. Vielleicht hat man Ihnen vor dem Gespräch auch geraten, nicht den Anschein zu erwecken, als würden Sie ihrem Ex-Partner Wut, Verachtung oder Geringschätzung entgegenbringen. Bedenken Sie aber, dass sich starke negative Gefühlsregungen, sollte sie existieren, bei anderen Gelegenheiten längst offenbart haben dürften, so dass Beteuerungen des Gegenteils nur Zweifel an Ihrer Offenheit und Vertrauenswürdigkeit oder Zweifel an Ihrer Selbsteinschätzung hervorrufen würden.



Wie sollten Sie Ihr Kind auf die Begutachtung vorbereiten?


Bitte bereiten Sie Ihr Kind oder Ihre Kinder auf das Thema und den voraussichtlichen Ablauf des Termins in der Gutachtenstelle vor. Für viele Eltern ist es selbstverständlich, dass sie dies tun. Immerhin gilt allgemein, dass alle Scheidungskinder die Geschehnisse zwischen ihren Eltern mit ungewöhnlicher Wachheit und abgeklärtem Verständnis verfolgen, umso mehr, wenn eine Begutachtung ansteht, die in einer hohen Regie steht und sich - auch in der Wahrnehmung der Kinder - als besonders bedeutsam und folgenreich darstellt. Die häufige zu hörende abschätzige Bemerkung von Eltern, dass ihr Kind schon so oft befragt wurde und dieser Befragungen längst überdrüssig sei, bildet also eher das Erleben der Eltern und nicht das Erleben der Kinder ab. Vor diesem Hintergrund wäre es für Kinder irritierend, wenn ausgerechnet jetzt über dieses Thema der Mantel des Schweigens gebreitet würde. Sollten Eltern bei/m der GutachterIn ausdrücklich darauf abheben, Sie hätten mit ihrem Kind über das bevorstehende Gutachten nicht (!) gesprochen, geben Sie dem/r GutachterIn unnötige Rätsel auf. Der/die GutachterIn fragt sich, ob die Eltern dies nur behaupten, um jeden Verdacht zu zerstreuen, dass Sie Ihr Kind beeinflusst haben könnten oder ob sich die Eltern tatsächlich ihrem Kind gegenüber sphinx-artig verhalten, also das Kind verwirren, weil es nicht erraten sollte, was in den Eltern vorgeht?


Es versteht sich von selbst, dass Sie als Eltern im Anschluss an die Gespräche, die ihre Kinder mit dem Gutachter führen, nicht darauf drängen dürfen zu erfahren, was die Kinder erlebt oder gesagt hätten. Manche Kinder gehen schon ungefragt davon aus, dass ihre Eltern darauf brennen, etwas zu erfahren. Dann erzählen die Kinder unaufgefordert Dinge, von denen sie denken, dass die Eltern diese gerne hören, etwa, dass sie sich in einem der Tests ausdrücklich zu Ihnen bekannt hätten.

Bedenken Sie aber, dass nicht wenige Kinder die spielerisch durchgeführten Test voller List dafür einsetzen, um "Liebeserklärungen" an einen Elternteil abzuschicken, von dem sie annehmen, dass er/sie dieses Bekenntnis erwartet, oder - wiederum Ihnen zu Gefallen - um den nicht anwesenden Elternteil an den Pranger zu stellen. Eventuell meint ein Kind, es müsse seine Verbundenheit mit Ihnen unter Beweis stellen – angetrieben von der Angst, Sie sonst zu verletzen und von der Angst, sich mitschuldig an neuerlichen Verlusten und Zerwürfnissen zu machen. Oder ein Kind fürchtet, dass Sie als Vater oder Mutter in eine Krise geraten könnten, wenn es auch nur die geringsten Zweifel an seiner Verbundenheit mit Ihnen aufkommen ließe. Somit erschließt sich mit jedem Testergebnis nicht schon die Antwort auf die Fragen des Gutachtenauftrags, sondern immer nur ein Teilaspekt des Innenlebens Ihres Kindes. Anders gerichtete Sehnsüchte, Ambivalenzen und Ängste Ihres Kindes bleiben dahinter verborgen. Sie werden, wenn Sie das schriftliche Gutachten studieren, erst in den Schlusskapiteln erfahren, wie der/die Sachverständige die verschiedenen Testergebnisse und Äußerungen, Verhaltensweisen und Lebensumstände interpretiert und in eine Gesamtschau einordnet.



Wie sollten Sie mit einem ungünstigen Ergebnis der Begutachtung umgehen?


Vergegenwärtigen Sie sich die Haltung des Gutachters, der sich ohne vorherige Kenntnis der Personen, die ihm begegnen, in Ihren Fall einarbeitet und Eindrücke sammelt, und erst daraufhin anfängt, sich Meinungen zu bilden. Lassen Sie sich von dieser offenen, distanzierten Perspektive des Gutachters anregen und versuchen Sie Ihrerseits andere und neue Perspektiven zu ihrem Fall einzunehmen. Oft sind die Fronten, wenn ein Gutachtenauftrag ergeht, so verhärtet, dass die eigene Position unverrückbar erscheint. Man verliert leicht die Befindlichkeit der eigenen Kinder aus dem Blick, wenn man sie nur noch durch die Brille der eigenen Enttäuschung und Verletztheit wahrnimmt. Natürlich kann man diese Gefühle nicht einfach qua Beschluss verändern – eine Trennung erfolgt ja immer auch aus einer Krisensituation heraus und ist oft mit Wut, Trauer und Enttäuschung verbunden. Aber Kinder sind eigenständige Menschen, die das Zerbrechen der Familie vielleicht ganz anders erleben. Und sie haben es verdient, als eigendenkende und fühlende Individuen wahrgenommen zu werden, auch wenn das manchmal schwerfällt. Gutachter regen oft dazu an, gerade die Situation der Kinder mit neuen Augen zu betrachten. Vielleicht stehen im Gutachten Sachen, die Sie nicht gerne über sich lesen, vielleicht zwingt Sie ein Gutachten, sich kritischer als zuvor mit sich selbst und dem eigenen Verhalten auseinanderzusetzen und von liebegewonnenen „Kampfpositionen“ abzurücken.

Versuchen Sie, sich nicht an Einzelaspekten z.B. einzelnen Testergebnissen oder an einem Satz, den die andere Partei gesagt hat, festzuhaken, um daraufhin das Gutachten im Ganzen oder im Endergebnis in Zweifel zu ziehen. Ein Gutachten bietet auf jeden Fall die Chance, etwas Neues über sich und die anderen zu erfahren. Diese Chance sollte man nutzen und nicht mit Kritik an Formalien verschenken.


Der wichtigste Rat für die Anwälte – seien Sie dem schriftlichen Gutachten gegenüber kritisch, aber wägen Sie im Sinne Ihrer Mandanten ab, auf welche Kritikpunkte sie fokussieren wollen, d.h. durchkämmen sie das Gutachten nicht nach jeder banalen Unrichtigkeit bzw. widerstehen Sie dem hierauf gerichteten sinnlosen Übereifer von Mandanten. Manchmal ist den Mandanten (und den betroffenen Kindern) eher damit geholfen, das Ergebnis eines Gutachtens hinzunehmen. Ein Kampf gegen das Gutachten mit allen rechtlichen Mitteln kann den größeren Schaden anrichten. Auch wäre zu wünschen, dass Gutachten häufiger nicht als einseitiges gegnerisches Druckmittel, sondern als beidseitig reichhaltige Quelle für eine Mediation genutzt würden. Sachverständige geben sich in aller Regel große Mühe, die Probleme der Parteien so behutsam und ausgewogen wie möglich darzustellen, um auszuloten wie sich die Parteien trotz ihrer Konflikte einander annähern könnten.

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